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"Bremen
neu erleben"
Das Stadtforschungsprojekt
c3
(Dieser Text ist
erschienen in "BIGNES? size does
matter. image/politik. städtisches handeln" b_books, Berlin
2001)
»Bremen neu erleben«, fordern die offiziellen
Selbstdarstellungen der Stadt. Beim Wort genommen, heißt das wohl:
vergiß alles, was Bremen für
Dich ausmacht. Alle Erfahrungen, die älter sind als das neue Image
der Stadt, werden hiermit für ungültig erklärt. Aber niemand
bestimmt einfach so den Charakter einer Stadt. (Außer vielleicht
Walt Disney. [1])
Was das Spezifische einer Stadt ausmacht, entwickelt sich in jedem Moment
ihrer Geschichte durch das Aufeinandertreffen verschiedener Menschen,
Gruppen, Interessen, Lebensentwürfe, Realitäten. Dieses Aufeinandertreffen
ist nicht immer friedlich. Konflikte, Unsicherheiten und Gewalt entstehen
aus den gleichen Situationen wie städtische Identität und Kultur.
Im Idealfall werden die Vorstellungen anderer als Bereicherung verstanden.
Das wäre dann Urbanität.
Die gegenwärtige Imageoffensive Bremens zeigt die Stadt als sauber,
sicher, investitionsfreudig und bewohnt von glücklichen, gutaussehenden
Partygästen. In der Innenstadt wird mit hohem Planungsaufwand ein
Bild produziert, das nach außen fast wie eine richtige Stadt wirkt.
Nach innen funktioniert es jedoch völlig anders, da es nicht mehr
aus dem Zusammenleben der Menschen entsteht, sondern aus einer Stadtplanung,
die keinen Raum mehr läßt für Spontanes, Unübersichtliches,
Neues. Letzteres muß nicht mal mehr ausdrücklich verboten werden,
es reicht, wenn es nicht mit eingeplant wird, und sei es aus Vergeßlichkeit.
Stadt wird tendenziell nicht mehr gelebt, sondern nach bestimmten Vorgaben
inszeniert. Inszenierung heißt aber nicht zuletzt: Kontrolle.
Ungelöste Konflikte und Widersprüche eignen sich gut zur Rechtfertigung
von Kontrollpolitik: Es werden dann einfach »die Bösen«
benannt und bekämpft. Die »subjektive Sicherheit der gesetzestreuen
BürgerInnen« wird zum Maß der städtischen Sicherheitspolitik
- und mit ihr die Vorstellungen eines (zugegebenermaßen auch heterogenen)
Teils der Bevölkerung zum Maßstab für städtische
Lebensqualität - auf Kosten der anderen Teile.
Die Gruppe city.crime.control (c3) befaßt sich seit zwei Jahren
mit den Themen Sicherheit, Kontrolle und Stadt. Wie sich das für
gute StädterInnen gehört, hat sich der Ansatz des Projektes
im Laufe der Zeit geändert. Ging es anfangs vorrangig um Plakatierverbote
als Zeichen kultureller Verdrängungspolitik, wurde recht schnell
deutlich, daß der breitere Zusammenhang städtischer Politik
als ganzes zu betrachten war.
Das erste Projekt von c3 war die Aktions- und Veranstaltungswoche die
kontrolle der räume. subculture vs. boredom
city im Mai 1999. Motivation der Woche war, den Agitationsrahmen
eigener Betroffenheit zu verlassen, die eigene Kritik an der Verdrängungspolitik
der Stadt öffentlich zu machen und der Frage nachzugehen, wie sich
diese Kritik und der Umgang mit ihr im Bereich der Selbstorganisation
zwischen Kunst, Kultur und Politik gestalten läßt.
Aus diesem Projekt ist mittlerweile eine kontinuierliche
Auseinandersetzung mit den Themen Öffentlicher Raum, Privatisierung
und Kontrolle entstanden [2]. Der Schwerpunkt liegt
dabei immer auf konkreten Projekten und Aktionen, (siehe die Ausstellungskooperation
futur perfekt) sowie dem Entwickeln
und Probieren neuer Aktionsformen.
Letztes Projekt war eine Kooperation mit dem Kulturzentrum Schlachthof
und dem Arbeitslosenzentrum Tenever zu safety
first, einer Austellungs- und Veranstaltungsreihe zu Innerer
Sicherheit im städtischen Raum.
Nach der kommunikativen Form der kontrolle der räume,
die auf Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen setzte (und der eher
klassischen Vermittlung positionierter Kritik durch Veranstaltungen mit
Vorträgen und Filmen), sollte diesmal die inhaltlich-thematische
Arbeit selber im Vordergrund stehen.
So entstand bremens erstes city containment
center, ein temporäres Labor, in dem öffentlich zum Thema
Stadt geforscht wurde. Als Basisstation für die Forschungsarbeit
diente ein Baucontainer auf dem Schlachthofgelände - sowohl Anspielung
auf die Bau-, Planungs- und Profilierungswut der Kommunen im großen
Städtewettberwerb als auch Verweis auf den Prozeßcharakter
des Städtischen.
Der Container wurde zum Ausgangspunkt verschiedener Aktivitäten.
Eine Öffnung nach außen wurde durch zeitliche Fixpunkte geschaffen,
die zu Beteiligung einluden. In Diskussionen, Exkursionen und unter Einbeziehung
verschiedener Materialien (Texte, Bilder, Filme, Zeitungsschnipsel etc.,
die gesammelt und archiviert wurden), behandelte das Thema Stadt
unter verschiedenen Aspekten, die als bauliche Metaphern verdichtet wurden.
- Fassade: die nicht-bewohnbaren Repräsentationsräume in den
Innenstädten als die Orte, in denen die Inszenierung von Stadt am
deutlichsten spürbar wird. Das der hier geplante Rundgang aufgrund
anhaltenden Regens nicht stattfand, wurde nicht als Mangel empfunden:
gerade der Repräsentationscharakter dieser Räume machte es allen
Beteiligten leicht, die Exkursion im Kopf zu simulieren.
- Beton: Wohnsiedlungen, deren Rolle zur Identitätsbildung einer
Stadt ebenso wie ihre geographische Lage in der Peripherie gesellschaftlicher
und politischer Wahrnehmung angesiedelt ist. Hier stand eine Exkursion
in bis dahin von c3 unerforschtes Gebiet im Vordergrund: der Stadtteil
Tenever, ein »Demonstrativ-Bauvorhaben« aus
den 70er Jahren (in den modernen Hochhäusern sollte eine neue Art
des Wohnens vorgeführt werden) ist im Rest von Bremen eher als sozialer
Brennpunkt bekannt; zugleich aber auch Angelpunkt sehr unterschiedlicher
Bemühungen sowohl seitens der Stadt [3] als auch
der BewohnerInnen, Image und/oder Lebensqualität des Stadtteils zu
steigern.
- Trampelpfade: In einer hitzigen Debatte wurden verschiedene Deutungsebenen
des Begriffs herausgearbeitet: zum einen als Weg (Raum), der dem geplanten/gebauten
Stadtbild abgetrotzt wurde, zum anderen als Form der Orientierung, als
eigenständiges Erforschen eines Raumes/ Weges. In beiden Fällen
Aneignung von Raum quer zu den Erlebnisangeboten der PlanerInnen.
- Schatten: Orte unwillkürlicher oder vermittelter, begründeter
sowie unbegründeter Ängste, aber auch Räume, in denen Kontrolle
durch unwillkürliche Verdrängung ausgeübt wird: Eine nächtliche
Exkursion zu klassischen potentiellen Gefahrenräumen
verdeutlichte die eigene Schwierigkeit, den gängigen Konstruktionen
von angstauslösenden Motiven und Orten zu entgehen.
- Kontrolle: die Hintergründe und Mechanismen von Kontrollpolitik
(etwa durch Videoüberwachung - hier in Kooperation mit aktuelle
kamera). Wie der Begriff containment im Titel bereits
andeutet, ist Kontrolle ein wesentlicher Aspekt aller behandelten Schwerpunkte,
der sich erst im Lauf der Arbeit zu einem eigenen Themenbereich verselbständigte
und deshalb auch keinen metaphorisch verdichteten Namen trägt.
- Aussicht: Perspektiven und Strategien der Stadtentwicklung und des Umgangs
damit. Der Begriff bezeichnete zunächst nur eine geplante Nachbesprechung
der Erfahrungen der Woche. Aber entsprechend dem »offenen Forschungsdesign«
des city containment centers fiel bald alles darunter, was mit städtischen
Perspektiven zusammenhängt, von der Bremer Sanierungspolitik über
virtuelle Städte bis hin zu möglichen Aktionen im städtischen
Raum.
Im letzten Punkt finden sich die Schwerpunkte von c3 zusammengefaßt:
Gewissermaßen erforscht c3 das Thema Stadt aus verschiedenen Perspektiven.
Eine davon ist die Formulierung einer kritischen Position, eine andere
das eigene subkulturelle Selbstverständnis. Das Experimentieren mit
verschiedenen Vermittlungsweisen und politischen Aktionsformen ist ein
zentraler Bestandteil der Forschungspraxis. Auch Aktionen
sind letztlich Inszenierungen - also Versuche, einen Teil der Kontrolle
zurückzugewinnen.
[>1] Disneys Beitrag zur Stadtentwicklung kann nicht
unterschätzt werden. Dies gilt nicht nur für die Disney-eigene
Stadt Celebration, in der unter strengem Reglement kleinstädtische
Idylle gelebt wird, sondern auch z.B. für New York, wo sich Disney
am ehemals berüchtigten Times Square angesiedelt hat -- nicht bevor
dieser von allen nicht-familienfreundlichen Aspekten "gesäubert"
wurde.
[>2] Ergebnisse dieser inhaltlichen Arbeit sind auf
der Webseite www.citycrimecontrol.net
zugänglich,die genauso wie eine Mailingliste
zu den Ansätzen gehört, die Möglichkeiten verschiedener
Medien in der politischen Arbeit zu nutzen, auch gerade im Sinne einer
Vernetzung.
[>3]
Ein 200 Millionen Mark schweres Sanierungspaket des Bremer Senats, für
das noch ein dritter Investor gesucht wird, sieht neben Instandsetzung
und Modernisierung auch eine städtebauliche Neuordnung durch Rückbau
vor - spricht den Abriß von Häusern und eines Fußgängerboulevards
auf der Höhe der 1. Etage, ursprünglich als Flanier- und Kommunikationsmeile
gedacht. In einem Vorzeige-Hochhaus mit neuem Eingangsbereich und Concierge
läßt sich heute schon besichtigen, wie Tenever morgen aussehen
könnte.
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