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Buchvorstellung:

Bernd Berlina:
Kriminelle Räume
Funktion und ideologische Legitimierung von Betretungsverboten

Aus dem 1. Kapitel

I. Gegenstand und Fragestellung

In dieser Arbeit will ich die Betretungsverbote in Bremen erklären. Ausgangspunkt ist also ein konkreter Gegenstand. Die Fragestellung ergibt sich aus meinem Interesse an der Erklärung dieser politischen Maßnahme. In diesem ersten Kapitel werde ich dementsprechend den Gegenstand darstellen (I.1) und die sich aus ihm ergebenden Fragen formulieren und auch gleich thesenartig beantworten (I.2).

I.1 Die Betretungsverbote in Bremen

Der in Abbildung I markierte Bereich von Bremen umfaßt weite Bereiche der Ortsteile Bahnhofsvorstadt, Ostertor und Steintor. Menschen, die einen solchen Plan erhalten, wird der Aufenthalt in diesem Gebiet ebenso untersagt wie dessen Durchquerung. Gegen sie wurde von den kommunalen Behörden ein Betretungsverbot ausgesprochen, das von der Polizei in enger Zusammenarbeit mit Bundesgrenzschutz und den kommunalen Verkehrsbetrieben durchgesetzt wird (zur folgenden Darstellung ARAB 1997, S. 133-167). Von dieser Praxis sind seit 1992 zunächst Personen betroffen, die sich im laufenden Asylverfahren befinden. Ihnen wird auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) bei ihrer 'Aufenthaltsgestattung' ohne zeitliche Begrenzung die Auflage gemacht, die entsprechenden Stadtgebiete zu meiden. Dasselbe gilt für Personen, die nach Ablehnung ihres Asylantrages nicht abgeschoben werden können und sich deshalb im Status der Duldung befinden. Hier liefert das Ausländergesetz (AuslG) die rechtliche Begründung. Erteilt wird die Auflage als Verfügung von der Ausländerbehörde, die auf Wunsch der Polizei in Amtshilfe aktiv wird. Die betroffene Person wird vorgeladen, erhält die Verfügung mit Begründung und Stadtplan, und das Verbot wird in seine/ihre Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung als Vermerk eingetragen. Seit 1994 sind auch InhaberInnen eines deutschen Passes betroffen, die der offenen Drogenszene zugerechnet werden. Hier wird als rechtliche Grundlage die Generalklausel des Bremer Polizeigesetzes (BremPolG) herangezogen, nach der die Polizei einschreiten darf "um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren" (§10, Abs.1). Diese Verbote gelten für sechs Monate und können beliebig oft ausgesprochen werden. Verstöße werden mit einem Zwangsgeld von DM 200,- oder einem Tag Gefängnis geahndet.

Begründet werden die Betretungsverbote mit den Gefahren für die 'öffentliche Sicherheit', die von 'Kriminalität' und Drogenkonsum ausgehen würden. In der Standardbegründung der Verbote wird den Betroffenen vorgeworfen, "mit Betäubungsmitteln in Erscheinung getreten" zu sein. Diese vorsichtige Formulierung wird bei näherer Betrachtung verständlich: In der Praxis werden die Verbote nicht etwa nur gegen Menschen ausgesprochen, die wegen Drogenhandels verurteilt oder auf frischer Tat ertappt wurden. Häufig liegt noch nicht einmal ein konkreter Verdacht vor. Statt dessen sind Fälle bekannt, in denen sehr vage Begründungen ausreichten: "Die Person wurde in Bereichen, in denen Drogenhandel betrieben wird - z.B. Bahnhofsvorplatz - angetroffen; sie sprach dort mit Junkies; sie verhielt sich auffällig" (ARAB 1997, S. 137). Dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Bremen vom 24.03.98 ist zu entnehmen, daß die Gefahr auch gar nicht in den einzelnen Leuten zu sehen ist, gegen die die Verbote ausgesprochen werden, sondern in der Existenz der offenen Drogenszene an sich. Diese "störe in erheblicher Weise die öffentliche Sicherheit" (OVG BREMEN 1998). Es geht also gar nicht um die konkreten Taten der Betroffenen, sondern um ihre (vermeintliche) Zugehörigkeit zu einer störenden Gruppe. Damit sei zwar "noch kein pauschales Vorgehen gegen sämtliche Angehörige der offenen Drogenszene" (ebd.) gerechtfertigt, vielmehr seien "stets die Umstände des Einzelfalles" (ebd.) zu prüfen. Solche gerichtlichen Einzelfallprüfungen werden in der Praxis jedoch so gut wie nie durchgeführt. Erfahrungsgemäß "hat faktisch die Polizei bestimmt, in welchen Fällen Betretungsverbote ausgesprochen worden sind" (ARAB 1997, S. 136).

Nachdem es auf Verwaltungsgerichtsebene widersprüchliche Urteile zur Rechtmäßigkeit der Betretungsverbote gab (LEOW 1998a), scheint mit dem aktuellen OVG-Urteil nunmehr Klarheit geschaffen. Trotzdem wird die Rechtmäßigkeit dieser Bestimmungen von JuristInnen wie Wolfram HECKER (1997) oder Jürgen SEIFERT (1996) als durchaus fragwürdig bezeichnet, verstoßen sie ihres Erachtens doch unverhältnismäßig gegen das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Freizügigkeit (Art.11 GG). Die Klärung dieser rechtlichen Aspekte, so wichtig sie für die Betroffenen sein mögen, ist für die Erklärung der Betretungsverbote nur von untergeordneter Bedeutung. Mir geht es um die Gründe dieser Politik, die so oder ähnlich in den meisten deutschen Großstädten betrieben wird. In München etwa waren im Juli 1998 398 Personen von zwölfmonatigen 'Aufenthaltsverboten' betroffen (SZ, 31.07.98). Außerdem gibt es für weite Bereiche der Innenstadt eine Allgemeinverfügung vom April 1994, die sich "ganz pauschal gegen jedermann, der dort Drogen kaufen, verkaufen oder konsumieren will, oder sie einfach nur besitzt" (ebd.) richtet (für weitere Beispiele: BELINA 1999, S. 61-63; GÖSSNER 1997, ALDER 1997, HAUER/PEDDINGHAUS 1996).

I.2 Fragestellung der Arbeit

Ziel dieser Arbeit ist es, die Betretungsverbote zu erklären. Dazu werde ich zwei Fragen klären:

1. Welcher Zweck wird mit den Betretungsverboten verfolgt?
2. Wie werden die Betretungsverbote begründet?

Die Beantwortung der ersten Frage verlangt nach einer polit-ökonomischen Analyse, die der zweiten nach Ideologiekritik. Bevor ich dabei ins Detail gehe, möchte ich zunächst meine zentralen Thesen vortragen, die es dann argumentativ zu belegen gilt. Für dieses Vorgehen, wie es idealtypisch David HARVEY in The Condition of Postmodernity (1989a) praktiziert, habe ich mich wegen der Übersichtlichkeit entschieden.

Um dem Zweck der Betretungsverbote auf die Spur zu kommen, will ich von der Maßnahme selbst ausgehen. Wenn die Betretungsverbote ein Mittel sind, dann verweist ihr Inhalt auf den mit ihnen verfolgten Zweck. Solche Schlüsse vom Mittel auf den Zweck können natürlich noch nicht als Erklärung gelten, als zu belegende These sind sie allemal sinnvoll. Zunächst fällt auf, daß die Betretungsverbote und die Praxis ihrer Durchführung schwerlich etwas mit den behaupteten Zwecken zu tun haben können. Denn wer antritt, um etwas gegen Drogenelend oder Gewalt zu tun, müßte sich mit den Ursachen dieser Phänomene beschäftigen. Aus dieser Beschäftigung müßten Mittel resultieren und in Anschlag gebracht werden, die etwas mit diesen ausgemachten Problemen zu tun haben. Ein solcher Zusammenhang ist bei der Verbannung bestimmter Menschen aus bestimmten Gebieten nicht auszumachen. Durch die Vertreibung wird ja niemand aufhören, ungesunde Substanzen zu nehmen oder sich unbotmäßig zu verhalten. Das Verbot hat mit diesen Verhaltensweisen ja gar nichts zu tun. Es muß also um andere Zwecke gehen. Bevor ich auf diese eingehe, werde mich zunächst der zweiten Frage zuwenden.

Denn wie das überhaupt möglich ist, die Betretungsverbote mit etwas zu begründen, was mit ihnen gar nichts zu tun hat, mit 'Kriminalität' nämlich, läßt sich ebenfalls aus der Maßnahme selber erschließen. Unmittelbar geht es bei den Verboten darum, bestimmte Bereiche von unerwünschten Menschen freizuhalten. Dabei wird von einem Raumausschnitt ausgegangen, von einem eingekreisten Bereich auf dem Stadtplan. Dieser soll von Menschen freigehalten werden, die stören und zwar aufgrund ihrer äußeren Erscheinung. Dabei werden zwei Abstraktionen vollzogen:

Erstens wird der konkrete Ort auf den abstrakten Raumausschnitt reduziert. Dabei wird von der interessengeleiteten Produktion des Raums abstrahiert, er wird als inhaltsleerer Container vor- und dargestellt. Die Interessen, die ins Werk gesetzt werden sollen, haben mit der Maßnahme nur noch diesen abstrakten Raumausschnitt gemeinsam. Die Abstraktion ermöglicht es dann, den betroffenen Raumausschnitt mit der Bedeutung 'Gefährlichkeit' bzw. 'Kriminalität' aufzuladen. Weil so die wirklichen Zwecke verschleiert werden, ist diese Abstraktion vom produzierten Raum auf den Containerraum und dessen Reifizierung mit 'Gefährlichkeit' ideologisch. Es wird die "räumliche Ideologie" (BELINA 1999) vom 'kriminellen Raum' produziert, um eine Maßnahme zu legitimieren, mit der Interessen verfolgt werden, die es noch zu klären gilt.

Zweitens werden konkrete Menschen auf abstrakte Erscheinungen reduziert. Diejenigen, gegen die da Betretungsverbote ausgesprochen werden, stören nicht wegen ihrer konkreten Handlungen, nicht wegen der Zwecke, die sie verfolgen, nicht wegen ihrer Interessen, sondern weil sie als Erscheinung in dem betreffenden Raum nicht erwünscht sind. Weil das in der Öffentlichkeit zur Begründung ihrer Verbannung nicht ausreicht, werden auch sie mit dem Label 'gefährlich' belegt. Auch diese Abstraktion von den konkreten Menschen und deren Identifizierung mit 'Gefährlichkeit' zur Durchsetzung anderer Interessen ist ideologisch.

Um welche Interessen geht es bei den Betretungsverboten, welche Zwecke werden mit ihnen verfolgt? Es handelt sich um zwei verschiedene Zwecke, die auf zwei verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen verfolgt werden:

Der erste Zweck ist Kontrolle. Subjekt der Kontrolle ist der Nationalstaat mit seinen Apparaten. Die entsprechende Politik wird auf nationaler Ebene betrieben. Diese Kontrolle hat in den vergangenen Jahrzehnten ihren Charakter verändert. Wo zuvor noch die integrierende Einflußnahme auf den ganzen Menschen betrieben wurde, geht es nunmehr um das 'managende' Verwalten. Nicht mangelnde Integration wird bekämpft, sondern nur noch deren störende Erscheinungsformen. Weil sie als Strategie effektiver und billiger ist, gewinnt die Kontrolle von Raumausschnitten dabei relativ zur Disziplinierung von Individuen und Gruppen an Bedeutung. Von den Individuen und ihren Interessen kann komplett abstrahiert werden. Damit bleibt aber unerklärt, warum sich die Betretungsverbote auf bestimmte Räume beziehen und nicht auf andere. Dazu bedarf es einer weiteren Erklärung, die der zweite Zweck liefert.

Der zweite Zweck ist Standortkonkurrenz. Die aktuellen Entwicklungen der Ökonomie haben die weltweite Konkurrenz der Städte untereinander verschärft. Die entsprechende Politik wird auf lokaler Ebene betrieben. Dabei dient das Erscheinungsbild der 'Visitenkarte' Innenstadt der lokalen Politik als Mittel in der Konkurrenz. Deswegen sollen in den für wichtig erachteten Bereichen der Stadt störende Erscheinungen vermieden werden. Es geht also nicht um die vermeintliche 'Gefahr', die von den betroffenen Menschen ausgeht, sondern um die Funktionen, die den betroffenen Räumen in der Standortkonkurrenz zugedacht sind. Um diesen Funktionen gerecht zu werden, gilt es unerwünschte Erscheinungen fernzuhalten.

Die beiden Ausgangsfragen werde ich also folgendermaßen beantworten:

1. Der zweifache Zweck der Betretungsverbote ist Kontrolle und Standortkonkurrenz.
2. Zu ihrer Begründung wird eine räumliche Ideologie produziert, die Raumausschnitte mit 'Kriminalität' reifiziert.

Wer mit der bisherigen Begründung dieser Erklärung zufrieden ist, kann hier das Lesen einstellen (1). Ansonsten geht es jetzt weiter mit den Argumenten, die diese als Thesen zu verstehenden Antworten belegen. Zunächst werde ich darlegen, was ich unter 'Ideologie' verstehe (II.). Diesen Abstecher in die Erkenntnis und Ideologietheorie unternehme ich, um zu erklären, was ich bei der Begründung der Betretungsverbote mit 'räumlicher Ideologie' meine. Außerdem werde ich auch in den folgenden Kapiteln bei der Diskussion verschiedener Theorien ideologiekritisch vorgehen.

So etwa bei der Klärung des Begriffes 'Raum' (III.). Wenn ich behaupte, daß es hier um eine 'räumliche Ideologie' geht, die von der Produktion des Raums abstrahiert, dann gilt es zu bestimmen, was unter 'Raum' und dessen 'Produktion' sinnvollerweise zu verstehen ist.

In Kapitel IV. wird es unter dem Label 'Globalisierung' um die politökonomische Analyse gehen, die zur genaueren Beantwortung der ersten Frage notwendig ist (IV.1 - IV.3). Weil die beiden Zwecke der Betretungsverbote auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen (national und lokal) angesiedelt sind, und weil die polit-ökonomische Analyse auf eine weitere verweist (global), werde ich das Verhältnis dieser Maßstabsebenen zueinander zu klären haben (IV.4 - IV.6).

In Kapitel V. werde ich mich mit der Bedeutung auseinandersetzen, die den betroffenen Raumausschnitten zugeschrieben wird, mit der 'Kriminalität'. Eingehen will ich darauf, was 'Kriminalität' ist (V.1), und darauf, warum die Kriminalisierung von Raumausschnitten zum Zweck der Kontrolle heute auf der Tagesordnung steht (V.2 und V.3). Hier wird es also, ausgehend von den Ergebnissen der politökonomischen Analyse aus IV., noch einmal um den ersten Zweck der Betretungsverbote gehen. Schließlich werde ich darstellen, wie diese 'räumliche Ideologie' wissenschaftlich produziert wird (V.4.1, V.4.2) und wie sie in Bremen zur Legitimierung verschiedener Kontrollmaßnahmen herangezogen wird (V.4.3).





 
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city crime control 8.08.2000

 

 

 

 

 

(>1) Alternativ: "Listen, Learn, Read On"; Deep Purple: Listen, Learn, Read On. Auf: The Book of Taliesyn. Electrola 1968.

 
 
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