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Jan Wehrheim:
Gated
Communities
Sicherheit und Separation in den USA
(Erstmals
erschienen in der Zeitschrift RaumPlanung Nr. 87, 1999, S.248-253. Dies
ist eine leicht überarbeitete Version.)
Als vor gut zehn
Jahren Peter Marcuse erstmals die "quartered city" - die gevierteilte
Stadt (1) - beschrieb (1989), tauchte genauso wenig
eine dezidierte Auseinandersetzung mit meist privaten und ummauerten,
von privaten Sicherheitsdiensten bewachten Wohnanlagen auf, wie in den
Ansätzen einer 'dual-city' (z.B. Mollenkopf/Castells 1991) oder einer
dreigeteilten Stadt (Häußermann/Siebel 1991). Zumindest in den Vereinigten
Staaten von Amerika zeichnet sich inzwischen jedoch eine Entwicklung ab,
die viele Fragen für die Zukunft und die Gestalt der Großstädte aufwirft.
Verschiedene Formen von Gated Communities verbreiten sich geradezu exponentiell.
In den suburbs, wie in den Innenstädten, aber auch als vollständig neue
Städte prägen sie immer größere Flächen und das Leben von immer mehr Menschen.
Was bislang nur aus Megastädten der sogenannten Dritt-Welt-Länder bekannt
war oder als Ausprägung der Apartheid in Südafrika galt, wird heute zur
ubiquitären Erscheinung. Historisch gesehen sind räumlich und baulich
abgegrenzte Wohnanlagen eigentlich auch in Europa und den USA keine neue
Erscheinung, denn schon im Mittelalter dienten Klöster und Burgen der
Abgrenzung und auch Tuxedo Park im New York des 19. Jahrhundert war umzäunt.
Die aktuelle Entwicklung in den USA ist jedoch aufgrund ihrer Vielfalt
sowie ihrer Quantität neu und daher für die Stadtsoziologie relevant.
Eine Typologie von Lebensstilen und Mauern Während
in vergangenen Jahrhunderten private, von der Außenwelt abgeschottete
Wohnstätten "uncommon places for uncommon people" waren (Blakely/Synder
1997:4), sind in jüngerer Zeit unterschiedliche Typen für unterschiedliche
BewohnerInnen zu erkennen. (2) Der erste Typus von Gated
Communities umfaßt vollständig private Wohnsiedlungen die überwiegend
der gehobenen Mittelschicht und SpitzenverdienerInnen sowie wohlhabenden
RentnerInnen dienen. Diese sogenannten Lifestyle und Prestige Communities
befinden sich bevorzugt im Sun-Belt, dem
warmen Süden der USA, und variieren in der Größe von ein paar dutzend
bis zu ein paar Hundert Häusern. Sie dienen als Haupt- oder Zweitwohnsitz,
können aber auch nur ein Feriendomizil darstellen. Bei ersteren steht
ein gemeinsamer Lebensstil (3), geprägt von Golf- oder
Tennisplätzen, Seen und gleichen Baustilen im Mittelpunkt, während bei
zweiteren das Prestige, das Image und die Exklusivität der Wohnanlage
im Vordergrund stehen und das Eingangstor als Statusbarriere und -garant
dient. Bei beiden Ausprägungen ist der Kaufpreis der Immobilie das entscheidende
Kriterium für einen möglichen Einzug. Der zweite Typus sind neu gebaute
und vollständige Städte. Diese Gated New Towns verfügen über eine umfassende
Infrastruktur, verschiedene - teilweise untereinander durch Zäune getrennte
- Wohnquartiere für verschiedene Einkommensgruppen mit verschiedenen Baustilen.
In solchen "instant cities" (McKenzie 1994) existieren somit Mehrparteienmietshäuser
neben Villen, Schulen neben Golfplätzen oder eigenen Bibliotheken. Ihre
Größe umfaßt leicht mehrere 10.000 EinwohnerInnen, wie z.B. Green Valley
bei Las Vegas / Nevada, die am Anfang des 21. Jahrhunderts 60.000 Menschen
beherbergen wird. Die
dritte Kategorie stellen sogenannte Security Zone Communities dar. Sie
sind keine neuen Viertel oder Städte, sondern entstehen durch eine nachträgliche
Umzäunung bzw. Zugangsbeschränkung in angestammten Quartieren. Sie sind
somit Ausdruck eines Bestrebens, ein Quartier gerade nicht verlassen zu
wollen. Diese Communities sind sowohl in den Innen- als auch in den Vorstädten
zu finden. Sie sind nicht grundsätzlich privatisiert und können sogar
kleinere Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus umfassen. Dementsprechend
ist dieser Typus auch in Quartieren der unteren Einkommensschichten zu
finden. Quantitativ unterteilt ergibt sich folgendes Bild: Ein Drittel
der Gated Communities dient der gehobenen Mittel- und der Oberschicht,
ein weiteres Drittel dient ausschließlich wohlhabenden RentnerInnen sowie
das verbleibende Drittel der Mittelschicht und unteren Einkommensgruppen
(Blakely/Snyder 1997:6).
Die
optisch auffälligsten Gemeinsamkeiten dieser verschiedenen Ausprägungen
von Gated Communities sind, wie der Name bereits andeutet, das Tor sowie
weitere Sicherheitseinrichtungen: "Walls are only the beginning. Inside
may be surveillance cameras, infrared sensors, motion detectors and sometimes
armed guards. St. Andrews, a gated community in Boca Raton, Florida, spends
over $ 1 million a year on helicopter and canine patrols" (Dillon 1994:8).
Je nach finanziellen Ressourcen und Gestalt der Community werden mit mehr
oder weniger Aufwand Sicherheitsanlagen und Sicherheitsdienste eingesetzt.
Gerade in Gated Communities mit vielen Zweitwohnsitzen und damit auch
vorübergehend leerstehenden Häusern wird Wert auf hohe Sicherheitsstandards
gelegt. Während in Extrembeispielen Maßnahmen wie Poller gegen Anschläge
mit Autobomben, Hubschrauberüberwachung, Ninja-Patrouillen und High-Tech
zur automatischen Eingangsüberwachung eingesetzt werden (Blakely/Snyder
1997:84;108), sind Schilder mit der Aufschrift "Durchgang verboten" oder
"bewaffnete Vergeltung", private Sicherheitsdienste am Tor sowie ein einfacher
Zaun eher der normale Standard. Eventuell kommen noch eine Videokamera
oder Eigeninitiativen in Form von 'Neighborhood Watch' hinzu (vgl. auch:
Lopez 1996). Diese scheinbaren "Sicherheits-Communities" sind keine Ausnahmen
mehr, sondern finden sich heute in nahezu allen Großstädten und auch in
zahlreichen kleineren Städten über die USA verteilt.
Der Boom und mögliche Hintergründe
In
der Geschichte der US-amerikanischen Städte gab es immer wieder private
Quartiere, die von den Vereinigungen der HauseigentümerInnen - Homeowner
Associations (HOAs) - verwaltet wurden. Solche sogenannten Common-Interest
Developments (CIDs) zeichnen sich durch gemeinschaftlichen Privatbesitz
von Straßen, Bürgersteigen, Grünflächen und Gemeinschaftseinrichtungen
aus, erheben eigene Steuern und organisieren und reglementieren über sogenannte
CC&Rs - covenants, conditions & restrictions - straff das Leben in diesen
Anlagen. Anfang der ´60er Jahre gab es gut 500 Homeowner Associations,
1970 waren es bereits 10.000, 1980 55.000 und zur Jahrtausendwende beträgt
ihre Anzahl 205.000, von denen über die Hälfte zusammenhängende private
Wohnanlagen vertreten (Community Association Institute 1999; Blakely/Snyder
1997:180; McKenzie 1994:11) (4) . Seit
den ´70er Jahren wird diese Entwicklung durch den zusätzlichen Boom bei
Gated Communities ergänzt bzw. bereits bestehende CIDs werden nachträglich
ummauert und gesichert. Insgesamt existieren bereits über 20.000 solcher
Communities mit über neun Millionen EinwohnerInnen.(5)
Als
Hintergründe lassen sich nun zwei Aspekte hervorheben. Zum einen wird
seit geraumer Zeit für die USA ein Prozeß der gesellschaftlichen und städtischen
Polarisierung beschrieben, in dem sich eine immer größer werdende Schere
zwischen arm und reich abzeichnet. Dieser Prozeß gipfelt auf der einen
Seite in dauerhafter, räumlich konzentrierter und extremer Armut und wird
mit dem Terminus der Urban Underclass umschrieben. Gerade in Verbindung
mit dieser vermeintlich neuen Klasse wird immer wieder auf Gewaltkriminalität,
Drogenhandel und Jugendgangs hingewiesen und so eine "gefährliche Klasse"
wiederentdeckt, die "Gefahr" für die Menschen in den Städten bedeutet
(vgl. u.a.: Morris 1994; Wehrheim 1999b). Mit der Popularität des Themas
Kriminalität und seiner tagtäglichen medialen Aufbereitung wird subjektive
Angst vor und Ablehnung gegenüber allen Personen, die mit dem Armuts-Kriminalitäts-Komplex
in Verbindung gebracht werden, produziert oder verstärkt und räumlich
projiziert. Öffentliche Parks und Verkehrsmittel, Armenghettos etc. werden
zu vermeintlichen "Angst-Räumen" bzw. zu "gefährlichen Räumen" für immer
mehr Menschen (Wehrheim 1999a). Auf der anderen Seite wächst die Gruppe
der Wohlhabenden, und wachsendes Einkommen sowie Vermögen schlagen sich
in Tendenzen zu einem Zweit- oder Ferienhaus, bevorzugten exklusiven Adressen
oder einem bequemen und vor allem sicheren Altersruhesitz nieder. Besonders
die ebenfalls absolut und relativ wachsende Gruppe der wohlhabenderen,
älteren Menschen "(...) prefer warm areas with low taxes and high security"
(Blakely/Synder 1997:49).
Zum
anderen hat sich die Gestalt der Städte gewandelt: Traditionelle Vorstädte,
die einmal das Symbol des amerikanischen Mittelschicht-Traums waren, verändern
sich. Sie sind nicht mehr Garanten für ein Leben in einer homogenen Nachbarschaft,
in Ruhe und Nähe zur Natur. Mit dem Prozeß der Suburbanisierung wurde
das Land am Rand der Stadtzentren knapper und teurer, und vor allem veränderte
sich die Bevölkerung in den Vorstädten. Während Queens und Bronx als suburbs
von New York City schon lange in die Stadt reintegriert wurden, und große
Teile von ihnen kein Synonym für Ruhe und Ordnung mehr sind, wird ein
solcher Prozeß auch in unzähligen anderen Städten deutlich. Los Angeles
ist vermutlich das prominenteste Beispiel. Große Flächen der Vorstädte
liegen nicht mehr in der Nähe der Natur und sind genauso heterogen in
Bezug auf Immobilienwerte, ethnische Zugehörigkeit und Einkommen der BewohnerInnen,
wie der Rest der Stadt bzw. der Agglomeration auch.
CIDs
und besonders Gated Communities bieten somit einen scheinbaren Ausweg
aus diesen Entwicklungen. Mauern und Sicherheitsdienste sollen vor der
"gefährlichen Klasse" und ImmigrantInnen schützen. Privates, aber gemeinschaftliches
Eigentum an Golfplätzen, Seen und Parks hingegen ersetzt teure, große
und individuelle Grundstücke. Homogenität, Sicherheit und Natur soll so
wieder hergestellt werden. Diese beiden Erklärungsansätze scheinen jedoch
nur einen Teil abzudecken. Zum Verständnis möglicher Ziele und Motive
für einen Einzug in eine Gated Community bzw. eine nachträgliche Ummauerung
muß jedoch das Leben und die Gestalt dieser Communities näher betrachtet
werden sowie auf die Rolle möglicher Akteure hingewiesen werden.
Kontrolle durch Abgrenzung
Evan
McKenzie hat 1994 in seiner Studie "Privatopia" die Geschichte der Common-Interest-Developments
nachvollzogen und dabei immer wieder auf staatliche Akteure und Interessensverbände
hingewiesen, welche den beschriebenen Boom dieser Anlagen ermöglicht haben.
Besonders hervorgehoben wird dabei der Lobby- und Dachverband der Hauseigentümervereinigungen,
das 'Community Association Institute' sowie die vor allem durch RepräsentantInnen
der "real estate and banking industries" geprägte 'Federal Housing Authority'
(McKenzie 1994:63). Spezielle Versicherungen für Großprojekte förderten
die Common-Interest Developments ebenso wie die bevorzugte Bewilligung
von Krediten für Einfamilienhäusern in den Vorstädten - anstatt für Renovierungen
in der Inner-City - die allgemeine Segregation förderte. Die Entwicklung
der Gated Communities wird heute durch weitere Akteure geprägt: Developer
werben offensiv mit Toren und Abgeschiedenheit, und unzählige Sicherheitsfirmen
bieten das entsprechende technische Equipment und Personal speziell für
ganze Wohngebiete an (6). Das oft beschriebene Bedürfnis
nach Sicherheit und Abgrenzung wird nicht nur dankbar aufgegriffen, sondern
auch entsprechend geschürt. Ein Markt wird geschaffen und die "Vierteilung"
der Stadt weiter vorangetrieben.
Private
Wohnanlagen und developer bieten jedoch mehr als nur eine Mauer und ein
Tor. Developer gründen bereits selbst eine Homeowner Association (HOA)(7)
deren Mitgliedschaft für alle zukünftigen BewohnerInnen obligatorisch
ist, und sie behalten auch bis zum vollständigen Verkauf aller Objekte
einer Siedlung ein Stimmrecht innerhalb der Vereinigung. Dieser Zusammenschluß
stellt eine Art "Privatregierung" der Community dar (8).
Sie regelt das Leben in der Anlage, ist für die Verwaltung zuständig,
vertritt die Gemeinschaft nach außen, erhebt eigene "Steuern" und kontrolliert
die Einhaltung der ebenfalls bereits von den Developern festgelegten Verhaltensregeln
in der Wohnanlage. Auch wenn regelmäßig von einem "lack of participation"
(Blakely/Snyder 1997) oder einer "culture of non-participation" (McKenzie
1994) in diesen Vereinigungen gesprochen wird, und diese zunehmend auf
Professionalisierung der Aufgaben setzten, so bieten HOAs ihren Mitgliedern
weite Möglichkeiten der Kontrolle. Die wichtigsten und gleichzeitig umstrittensten
Punkte sind dabei die privaten Abgaben und die Verhaltensregeln.
Abgaben
oder interne "Steuern" sind in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen
wird mit ihnen die örtliche Infrastruktur bezahlt, also Firmen beauftragt,
die für die Müllabfuhr, die Poolpflege oder die Sicherheitseinrichtungen
zuständig sind, eventuell eine eigene Schule oder Sporteinrichtungen unterhalten,
Mauern oder Clubhäuser instand gehalten oder sogar Kontrakte mit der lokalen
Feuerwehr und Polizei geschlossen. Die EinwohnerInnen bringen dafür jährlich
mehrere hundert bis mehrere tausend Dollar auf. Neuanschaffungen oder
Rücklagen, die das Budget zusätzlich belasten, sind dementsprechend oft
Konfliktherde (Kennedy 1995:776). Zum anderen sind die HOAs bestrebt,
möglichst wenig reguläre Steuern zu bezahlen, d.h. obwohl sie von der
öffentlichen Hand profitieren - z.B. über die Benutzung von Zufahrtsstraßen
oder von Hydranten - sollen die Ausgaben dafür minimiert werden. Da andererseits
Gated Communities mit wohlhabender Bevölkerung gern gesehene AnwohnerInnen
der Kommunen sind - denn sie kosten wenig und konsumieren in der Regel
viel - werden oftmals Zugeständnisse gemacht. Houston, Kansas City und
Montgomery County
haben daher bereits die Steuerlast für BewohnerInnen von Gated Communities
gesenkt, und in anderen Städten wird darüber verhandelt (9).
Die Privatregierung, mit ihrem nicht unerheblichen Eigenkapital aus den
internen Abgaben, bietet insofern neue Möglichkeiten der Kontrolle über
das Gesicht und die Ausgestaltung der Community, aber auch über "externe"
Ausgaben.
Verhaltensregeln
wiederum sollen das Leben in der Gated Community regeln sowie den Stil
der Anlage sichern. Diese CC&Rs sind meist ebenso umfassend wie restriktiv.
Darin kann die Farbe der Häuser, die Höhe der Hecken und Bäume, die Sorte
der Blume, die Art und Anzahl von erlaubten Tieren in der Anlage genauso
vorgeschrieben sein wie die Sorte der Möbel - wenn sie denn von außen
sichtbar sind. Weiterhin kann ein Mindestalter für BewohnerInnen bestehen,
der Besuch von Kindern begrenzt sein und öffentliches Küssen vor den Häusern
ebenso verboten sein wie der Aufenthalt außerhalb des eigenen Grundstücks
bei Nacht (Kennedy 1995; McKenzie 1994). Diese Liste ließe sich noch endlos
fortführen, und die genaue Ausgestaltung diese Reglements variiert von
Anlage zu Anlage. Oft sind den zukünftigen BewohnerInnen bei Vertragsabschluß
die Dimensionen der CC&Rs gar nicht vollständig bewußt. Genauso oft werden
jedoch gerade diese strikten Regeln als wichtiger Grund für die Wahl einer
privaten Wohnanlage genannt (Blakely/Snyder 1997:46ff). Neben Mauern und
Toren garantieren sie Ordnung wie Homogenität und werden im Zweifelsfall
durch die Hauseigentümervereinigungen oder aber vor Gerichten durchgesetzt.
Diese heute weitreichende Verbreitung von CC&Rs in ganzen Stadtvierteln
und sogar Städten stellt damit eine neue Dimension formalisierter sozialer
Kontrolle dar. Formelle soziale Kontrolle nicht nur über den Zugang zur
Community, sondern auch über das Verhalten jedes/jeder Einzelnen in derselben.
Betrachtet
man nun die Aspekte 'Sicherheit' vor Kriminalität und Devianz, 'Privatregierungen'
und 'CC&Rs' zusammen, so scheint Kontrolle das zentrale Motiv für den
Einzug in eine private Gated Community zu sein. Kontrolle über das Territorium,
Kontrolle über das Verhalten und den Lebensstil der MitbewohnerInnen,
Kontrolle über die Schulen der eigenen Kinder, Kontrolle über die Politik
und die Steuern, Kontrolle über den Immobilienwert etc.. Sicherheit resp.
Angst vor Kriminalität scheint dabei nur das Vehikel für weitreichende
Abgrenzung und der Suche nach Kontrollmöglichkeiten zu sein. Fehlendes
Vertrauen in den Staat und dessen Akteure sowie der Wunsch, nur für das
Steuern zahlen zu müssen, was man auch selber nutzt, braucht und will,
stärkt die Entwicklung zu Separation noch weiter. Physische Mauern werden
somit zum Symbol für Kontrolle über das eigene Leben, für Kontrolle über
die eigene Zukunft und für Abgrenzung und Ausgrenzung. Die Wahl und die
Gestaltung des Wohnortes selbst soll allgemeine Sicherheit garantieren.
Trotz zahlreicher dokumentierter sozialer Konflikte - gerade über CC&Rs,
Steuern, Kinder und Sicherheitsanlagen - innerhalb solcher 'kontrollierter
Communities', halten Mauern diese Gemeinschaften zumindest physisch zusammen.
Wie subtil und gewollt eine solche weitreichende Kontrolle teilweise sein
kann, zeigt auch das Beispiel der Walt-Disney-Stadt "Celebration" bei
Orlando / Florida. Eine vollständige Ummauerung gibt es dort zwar nicht,
aber ein sehr großzügig dimensionierter Golfplatz um die Stadt verhindert
einen unbemerkten Zugang. Neben einheitlichen neotraditionellen Baustilen
gewährleistet ein komplexes System sozialer Kontrolle größtmögliche Homogenität.
"So gibt es in Celebration eine Gesundheitsfürsorge, die auch eine ständige
Überwachung des Lebensstils der Bewohner beinhaltet, eine Schule, die
u.a. von einer Disney-Tochtergesellschaft kontrolliert wird, ein Fiberglas-Netzwerk,
durch das jede Wohnung mit den zentralen Einrichtungen der Stadt verbunden
ist, sowie unter dem Titel des 'Community Integration Process' angebotene
Kurse, in denen Angestellte des [Disney-] Konzerns den zukünftigen Bewohnern
das in Celebration angebrachte Wertesystem und die dazugehörigen Verhaltensweisen
beibringen" (Roost 1998:322f). Die BewohnerInnen einer ganzen Stadt unterwerfen
sich hier sogar freiwillig einer umfassenden Kontrolle durch einen Konzern.
Die Folgen baulich manifestierter Segregation
Die
Auswirkungen einer massenhaften Verbreitung von abgeriegelten und meist
privaten Quartieren bzw. sogar das Entstehen ganzer neuer Städte bringt
weitreichende Änderungen für das System Stadt und besonders für die unmittelbar
davon betroffenen BewohnerInnen und AnwohnerInnen mit sich. Als erste
Auffälligkeit ändert sich das Gesicht der Städte bzw. der entsprechenden
Viertel. Während die neu entstehenden Prestige und Lifestyle Communities
vollständig ummauert sind, findet bei den bereits bestehenden Vierteln
zumindest eine Reduzierung der Zugangsmöglichkeiten statt, denn Security
Zone Communities sehen sich mit der Problematik konfrontiert, daß eine
nachträgliche Privatisierung und Totalschließung und damit vollständige
Ausgrenzung aller Nicht-BewohnerInnen regelmäßig Gegenstand juristischer
Konflikte sind. Sie schließen daher "nur" Durchgangsstraßen, verkleinern
die Viertel und bilden Sackgassen oder Kreisstraßen. Das bedeutet, daß
nicht nur der Straßenverkehr reduziert wird und NachbarInnen oder PassantInnen
am Durchgang oder der Durchfahrt gehindert werden, sondern auch Zulieferbetriebe
für ansässige Geschäfte werden behindert, Wegstrecken verlängern sich
und Funktionen der Viertel, z.B. als Treffpunkt oder als Einkaufsmöglichkeit
etc., verändern sich durch Mauern und Barrieren abrupt. Damit ist die
vielleicht bedeutendste Folge der Verbreitung von Gated Communities bereits
benannt: die Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Während residentielle
Segregation im allgemeinen und CIDs im speziellen schon immer dazu geführt
haben bzw. Ausdruck davon waren, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht
in bestimmten Quartieren wohnen konnten, bedeuten Gated Communities, daß
nun solche Stadtteile und sogar ganze Städte nicht einmal mehr betreten
werden können. Nicht nur neue, andere NachbarInnen werden ausgeschlossen,
sondern auch alle zufälligen PassantInnen. Während in Florida der sogenannte
'Safe Neighborhood Act' Verhandlungen zwischen Vereinigungen der BewohnerInnen
eines Stadtteils mit der Kommune über eine vollständige Schließung öffentlichen
Raums zuläßt, entschied ein kalifornisches Gericht 1994 in dem Präzedenzfall
von Whitley Heights / Hollywood, daß eine Schließung nur temporal erlaubt
ist. Eine andere "Lösung" dieses Konflikts kann die Erhebung einer Durchgangsgebühr
sein. Es erfolgt somit keine Totalschließung, exkludiert werden jedoch
alle Personen, die sich eine solche Gebühr nicht leisten können (Kennedy
1995).
Ausgrenzung
oder Exklusion sind daher bedeutende Stichworte. Es wird zwar regelmäßig
darauf hingewiesen, daß "Klassensegregation" einen höheren Stellenwert
als "Rassensegregation" (10) bekommen hat, dennoch
läßt sich gerade aufgrund statistischer Einkommensunterschiede zwischen
Anglo- und AfroamerikanerInnen feststellen, daß: "The primary common characteristic
of CID purchasers is that they are homeowners, a group that is older,
whiter, and wealthier than the general population" (McKenzie 1994:190).
Residentielle Segregation anhand ethnischer Zugehörigkeit besteht folglich
weiter, während sich gleichzeitig Segregation mittels des Immobilienpreises
verschärft. Wenn zusätzlich private Sicherheitsdienste in den entstehenden
Enklaven anhand von Partikularnormen entscheiden können, wer Zugang zu
den Communities bekommt und wer nicht, ist es wahrscheinlich, daß die
erwähnte Underclass, ImmigrantInnen oder traditionelle Randgruppen generell
von verstärkter räumlicher Ausgrenzung betroffen sind.
Die
Bedeutung einer baulich manifestierten Separation ist jedoch für die Stadtviertel
ambivalent. Wohlhabendere Viertel
sind oft bestrebt, jegliche Kontakte zu Nachbarvierteln zu unterbinden,
und sie sind auf entsprechende Interaktion auch nicht notwendig angewiesen.
Ärmeren Vierteln hingegen droht eine Verstärkung der Isolation (11)
durch Mauern, zusätzliche polizeiliche Überwachung oder damit verbundene
neue Stigmatisierung. Daher sind Aktionen und Reaktionen in diesen Fällen
sehr unterschiedlich. Mal fordern BewohnerInnen mehr Sicherheit und Umzäunung
für ihr Viertel, mal wird ihnen dies von staatlicher Seite aus Kostengründen
verweigert. Mal wird eine Ummauerung von Sozialwohnungsprojekten von der
'local housing authority' aufoktroyiert und gegen Proteste durchgesetzt,
mal sogar eher zur Überwachung der BewohnerInnen selbst
als zur Eindämmung externer Kriminalität genutzt (vgl.: Davis 1994; Blakely/Synder
1997). Auch die realen Auswirkungen auf Kriminalität sind bei Gated Communities
unabhängig vom
Typus unterschiedlich. (12) Während die Schließung
von Durchfahrtsstraßen gerade in Bezug auf das sogenannte "Drive-by-shooting"
(13) eine Reduzierung von Kriminalität mit sich bringen
kann (Jones/Lowery 1995), so sind "incivilities" und "disorder", genauso
wie interne und externe Kriminalität besonders in den großen Gated New
Towns ein Problem.
Mit Sicherheit in die Zukunft der Großstädte
Neben
den optischen Änderungen in den Städten droht auch nachhaltige Veränderung
des Systems Stadt an sich. Segregation war bislang von ökonomischen Zwängen,
Diskriminierung von Minderheiten auf dem Wohnungsmarkt, Belegungsvorgaben
und persönlichen Präferenzen der BewohnerInnen geprägt. Mit dem Boom der
Gated Communities erscheint jedoch Sicherheit zu einem neuen Primärkriterium
für viele Menschen bei der Wahl des Wohnortes zu werden und dahingehend
äußerten sich auch nahezu 70% der BewohnerInnen von Gated Communities
(Blakely/Snyder 1997:126f). Der Gedanke einer Sicherheitszonierung der
Städte wird damit immer realer: Gated Communities bieten zumindest symbolisch
Ruhe, Sicherheit und vollständige Abgeschiedenheit. Highways als Verbindungsschienen
- nicht mehr als Adern der Stadt - zwischen dem sicheren Haus, dem sicheren
Arbeitsplatz und der sicheren shopping mall (vgl. Sorkin 1992; Christopherson
1994) verringern zusätzlich die Bedrohung durch Kontakt mit "dem Fremden"
und der "dangerous class" auch beim Verlassen der Wohnanlage. Damit könnte
man sich räumlich - horizontal die Großstädte als einen Flickenteppich
mit verschiedenen, vorwiegend privaten "Inseln der Sicherheit", umgeben
von öffentlichen, "gefährlichen" Räumen vorstellen. Während sich gleichzeitig
vertikal zwei Pole herausbilden: das Ghetto der Ausgeschlossenen, als
Ort der "gefährlichen Klasse" am unteren Ende der städtischen Hierarchie,
und die ausschließende Enklave als Lifestyle und Prestige Community und
Ort der Wohlhabenden an deren Spitze (vgl. auch: Marcuse 1998). Der jeweilige
Status eines Raumes wird baulich zementiert und damit gesellschaftliche
Spaltung räumlich manifestiert. Was Friedrich Engels bereits 1845 in Bezug
auf Städte in England beschrieb, bekommt eine neue Qualität: Die "schlechten
Viertel" der Arbeiterklasse existieren in unmittelbarer Nähe neben den
Vierteln der "glücklicheren Klassen" (1974:94ff). Doch während damals
die jeweiligen anderen Viertel noch wenigstens theoretisch betreten werden
konnten und Beziehungen zumindest durch Ausbeutungsverhältnisse bestanden,
kristallisiert sich heute in den USA eine "Kultur" des Nicht-Berührens,
der Kontaktlosigkeit, heraus. Die privaten Viertel der Besserverdienenden
können de facto nicht mehr betreten werden, und eine ökonomische Interaktion
besteht bestenfalls informell.
Mit
Blick auf die neuen Städte, die Gated New Towns, wäre sogar noch ein zweites
Szenario denkbar: eine neue Konkurrenz zwischen den Städten. Neue, "private"
Wohnstädte für Besserverdienende auf der einen Seite und alte, "öffentliche"
Städte für Produktion, Dienstleistungen, Verkehr und untere Einkommensschichten
auf der anderen. Diese Utopie bzw. Dystopie ist nicht ganz unwahrscheinlich.
Bereits Mitte der ´90er Jahre befanden sich hunderte von solchen Stadtprojekten
im Bau (Blakely/Snyder 1997:64), und auch die enorme Nachfrage nach Immobilien
in der Disney-Stadt "Celebration" deutet auf eine weitere Zunahme hin.
Mit
dem wachsenden Umfang von überwiegend privaten Gated Communities und damit
dem wachsenden Einfluß von Millionen von WählerInnen auf die Politik steigt
der Druck für die Kommunen, sich verstärkt an deren Interessen zu orientieren
(14). Je mehr Menschen sich von dem Gedanken der Stadt
als eine Art Solidargemeinschaft abkoppeln, und je weniger Menschen für
Leistungen, die sie vermeintlich nicht nutzen, zahlen, desto geringer
werden die politischen und finanziellen Spielräume für Ausgleich oder
Projekte der Reintegration für die sich verfestigende Armutsbevölkerung.
Damit entsteht das Dilemma, daß die Politik primär für die alten Städte
zuständig sein wird, ihre finanziellen Ressourcen aber immer mehr von
den sich tendenziell abkoppelnden Common-Interest-Developments und privatisierten
Gated Communities kommen müßten. In den theoretischen Konzepten einer
gespaltenen Stadt bekommt somit Marcuses Metapher des aktiven Vierteilens
eine neue Note. Die Beschreibung von Segregation als "quartered city"
mit Luxusstadt, gentrifizierter Stadt, Vorstadt, Stadt der Mietshäuser
und aufgegebener Stadt (Marcuse 1989) muß jedoch unter neuen Vorzeichen
geschehen. Das erneute Herauskristallisieren von zwei Polen muß dabei
genauso berücksichtigt werden, wie der Gedanke einer Sicherheitszonierung
und die mögliche neue Spaltungslinie anhand von "privaten" versus "öffentlichen"
Städten.
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Wilson,
William Julius (1987): The truly disadvantaged - The inner city, the
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Jan Wehrheim ist Sozialwirt und Entwicklungspolitologe und promoviert
z.Zt. im Bereich Stadtsoziologie an der Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg.
Alle Rechte
für diesen Text bei Jan Wehrheim.
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